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Verdrängte Schwangerschaft

Man hört es immer wieder, dass Frauen ihre Schwangerschaft verdrängen oder verleugnen und bestehende Kindsbewegungen als Bauchgrimmen deuten oder den Babybauch der falschen Ernährung zu schreiben. Das Phänomen – verdrängte Schwangerschaft, auch als Gravitas suppressalis bekannt, ist keine Seltenheit. Verdrängte oder verleugnete Schwangerschaften kommen in allen Gesellschaftsschichten vor und können Frauen aller Altersgruppen betreffen.

Was steckt eigentlich dahinter, wenn das Offensichtliche nicht bemerkt wird? Warum werden die also typischen Veränderungen monatelang nicht gesehen, obwohl sie eigentlich nicht zu übersehen sind? Wie kann es möglich sein, dass die ausbleibende Monatsblutung oder der immer größer werdende Bauch einfach übersehen wird? Mit all diesen Fragen hat sich der Frauenarzt Peter Rott beschäftigt und bei einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung seine Erkenntnisse der Öffentlichkeit preisgegeben.

Was steckt wirklich hinter der verdrängten Schwangerschaft?

Jede Frau, die selbst schon einmal schwanger war, kann nur schwer nachvollziehen, dass eine bestehende Schwangerschaft lange Zeit unbemerkt bleibt. Auch Männer verstehen nicht, dass ein kugelrunder Babybauch, der offensichtlicher nicht sein kann, über eine Schwangerschaft hinwegtäuschen kann.

Angststörung

Der Gynäkologe Peter Rott weiß zu berichten, dass hinter einer unbemerkten Schwangerschaft meist eine Angststörung steht. Er vergleicht dieses Verhalten mit einem Horrorfilm, indem manchmal Motive, wie in Menschen heranwachsende Monster zu finden sind, die irgendwann aus den betreffenden Menschen herausbrechen.

Betrachtet man eine ungewollte Schwangerschaft völlig nüchtern, können bestimmte Vergleiche gezogen werden: Das Fremde, das in einem heranwächst und das Leben der betreffenden Frau völlig verändert, kann durchaus Angst machen. In der Regel verbinden Frauen gleichzeitig mit dieser Tatsache etwas Positives. Es müssen kognitive und körperliche sowie soziale Anpassungsleistungen erbracht werden. Funktioniert diese Anpassung nicht, ist eine Verdrängung der Schwangerschaft nicht selten die Folge dieser Störung.

Die Häufigkeit der Fälle

Der Gynäkologe Peter Rott hat zur Feststellung der Häufigkeit von unbemerkten Schwangerschaften als Oberarzt im Krankenhaus Forschungen durchgeführt. Es sind mehrere Studien diesbezüglich durchgeführt worden, die allesamt zum gleichen Ergebnis kommen: Auf 500 Schwangerschaften kommt eine unbemerkte Schwangerschaft. Damit meint man Schwangerschaften, die erst nach der 20. Woche festgestellt wurden.

Dazu zählen selbstverständlich auch unbemerkte Schwangerschaften, die erst kurz oder während der Geburt als solche erkannt worden sind. Werden die Zahlen mit denen von Drillingsgeburten verglichen, wird schnell klar, dass die Zahlen der unbemerkten Schwangerschaften höher sind. Eine Drillingsgeburt kommt bei 7200 Geburten nur einmal vor.

Wer ist von einer unbemerkten Schwangerschaft betroffen?

Man weiß heute, dass eine unbemerkte Schwangerschaft nicht auf bestimme, Gesellschaftsschichten beschränkt ist und auch nicht weniger gebildete Frauen mehr betrifft. Auch Frauen, die nervenkrank sind, sind nicht für die festgestellten Zahlen verantwortlich. Einzig bei jungen und älteren Frauen, die nicht damit rechnen schwanger zu werden, beobachten die Forscher ein erhöhtes Risiko. Ist eine Frau unter 20, hat sie sich meist noch nicht konkret mit der Familienplanung auseinandergesetzt und Frauen über 40 haben ihren Kinderwunsch meist beendet. Bei diesen Frauen ist der innere Konflikt dann durchaus größer.

Fälle in der Praxis von Dr. Rott

In elf Jahren gab es drei Fälle einer unbemerkten Schwangerschaft, die erst während der Geburt festgestellt wurde. Die drei Frauen sind mit starken Unterleibsschmerzen in die Klinik eingeliefert worden und die Schwangerschaft wurde per Ultraschalluntersuchung diagnostiziert.

Der Gynäkologe Peter Rott berichtet von unterschiedlichen Reaktionen der Frauen: Eine Frau hat eine Schwangerschaft bereits in Erwägung gezogen, bei einer anderen war die Überraschung perfekt!

Frauen übersehen kugelrunden Babybauch und deuten Kindsbewegungen falsch – warum?

Gerade bei relativ dicken Frauen fällt ein Babybauch nicht auf. Außerdem haben Frauen, die die Schwangerschaft verleugnen oft sehr kleine Babys, da sie weiterhin rauchen, sich nicht angemessen ernähren und in manchen Fällen, wegen der Gewichtszunahme, eine Diät gemacht haben.

Auch Zeichen, wie beispielsweise Übelkeit kann leicht fälschlicherweise mit einem Magen-Darm-Virus in Verbindung gebracht werden. Das wohl sicherste Zeichen einer Schwangerschaft – das Ausbleiben der Monatsblutung kann auch auf Stress und zu viel Sport zurückgeführt werden. Es kommt auch nicht selten vor, dass Frauen weiterhin über Blutungen in der Schwangerschaft berichten. Hier beeinflusst die Psyche den Körper der Frau, die die bestehende Schwangerschaft verdrängt hat.

Selbst die Kindsbewegungen, die irgendwann nicht mehr zu leugnen sind, werden mit Bauchgrimmen oder Bewegungen des Darms abgehandelt.

Bei Frauen, die ihre Schwangerschaft verleugnen, treten sogenannte Rationalisierungsprozesse auf, bei denen die Frau dem inneren Konflikt aus dem Weg geht und die körperlichen Veränderungen umgedeutet werden. Hierbei setzen psychische Abwehrmechanismen ein, wie man sie auch aus anderen Lebenssituationen kennt. Wem etwas Furchtbares begegnet, verdrängt es nicht selten, um sich vor dem daraus resultierenden Schmerz selbst zu schützen.

Hintergründe einer Schwangerschaftsverdrängung

Ein großer innerer Konflikt ist oft der Grund einer verdrängten Schwangerschaft, der unterschiedliche Ursache haben kann. Trennungen stehen ganz oben in der Liste: Befindet sich ein Paar gerade in der Trennungsphase, bindet ein Kind die Partner ungewollt wieder aneinander, was alles andere als gewünscht ist.

Wird eine junge Frau Mutter, die noch keine Ausbildung absolviert hat, ist sie zwangsläufig von den Eltern oder dem Sozialamt abhängig, was ebenso eine Verdrängung der Schwangerschaft hervorrufen kann. Eine weitere Ursache kann auch der negative Umgang mit Sexualität innerhalb der Familie darstellen. Eine bestehende Schwangerschaft ist Ausdruck gelebter Sexualität und könnte für die betreffende Frau große Schwierigkeiten bedeuten.

Außer den oben genannten Gründen kann eine Schwangerschaftsverdrängung auch vor einer Abtreibung schützen: Manche Frauen glauben aus unterschiedlichen Gründen abtreiben zu müssen und wollen es nicht wirklich. Wird eine Schwangerschaft zunächst verleugnet, ist es danach nicht selten zu spät für eine Abtreibung.

Unterschiede zwischen verdrängter und verleugneter Schwangerschaft

Verleugnet eine Frau die Schwangerschaft, sind die Gründe dafür nicht so groß wie bei der verdrängten Schwangerschaft. Die Frauen wissen in der Regel, dass sie schwanger sind. Bei der verdrängten Schwangerschaft zeigt sich der Schutzmechanismus aufgrund des großen Schmerzes besonders stark. Den betreffenden Frauen ist ihre Schwangerschaft nicht bewusst und sie werden quasi davon überrascht. Erfährt eine Frau von der verdrängten Schwangerschaft, sind unterschiedliche Reaktionen zu beobachten. Dennoch rät der Gynäkologe Peter Rott zu einer psychologischen Begleitung, weil die Frauen mit der doch neuen Situation zurechtkommen müssen, was sich nicht immer als einfach gestaltet. Die Realität zeigt sich nicht selten als sehr schmerzhaft.

Studien

Des Weiteren wurden auch Studien darüber geführt, wie die Mütter einer verdrängten Schwangerschaft mit ihren Kindern umgehen. Laut Studie weiß man, dass diese Mütter nicht besser oder schlechter sind als andere Mütter, sich aber dennoch teilweise distanzierter zeigen.

Bei distanzierten Menschen ist das Risiko einer unbemerkten Schwangerschaft generell als höher einzustufen.

Bildnachweis: © Anja Greiner Adam – Fotolia.com


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